Die Hauptfrontlinie auf ein erträgliches Miteinander liegt aber woanders: Chatlines sind eine permanente Kriegserklärung, noch das vormals unhintergehbare Niveau der Bild-Zeitung mit Trash-Talk zu unterbieten. Wer früher seine Quasselmanie im Telefonmonolog oder beim Friseur ausreizte, behelligt jetzt andere anonyme Telekolohiker mit dem ärmlichen output seiner Festplattenexistenz. Karl Kraus hat sich vermutlich im Grab schon ein Dutzend Mal gedreht, weil ihn Sprachschüttelfrost peinigt. Aber Ernst beiseite: Schon bald werden Auslobungen für den fällig, der einen ganzen Satz aus dem Chatsalat fischt. Ein Satz mit Subjekt, Prädikat und Objekt bekommt ein besonderes Prädikat: Besonders wortvoll. Ein Königreich für einen kompletten Satz, nur noch überboten durch einen Diskurs, dessen conclusio kein blöde grinsendes smiley ist. Ob Jürgen Habermas seine Rede vom herrschaftsfreien Diskurs nicht noch einmal überdenken will. Ein bißchen Sprachherrschaft täte uns so gut wie ein bißchen Frieden, so wie das Netz für alle Seuchen ein bißchen Platz übrig hat. Zuvörderst ist diese Techno-Sprache eine entwicklungsfähige Seuche, die bald schon jeden Aids-Erreger armselig aussehen läßt. Wir brauchen keine Rechtschreibreform, da ohnehin der sekundäre Anaphabetismus grassiert, sondern eine Kommunikationsreform: Zugelassen im Netz werden nur surfer mit einem Grundwortschatz von über 500 Wörtern und einem Sprachführerschein mit analoger Rechtschreibprüfung. Online-TÜV mit technischer Überwachung der Cybergrammatik folgt. Weiter ein entschiedenes Plädoyer für den großen Lauschangriff durch den Sprachüberwachungsdienst für alle Chat-lines, Talkrunden mit Netzverbot für Sprachmikroben. Auch aus sozialen Gründen ist eine Sprachpolizei geboten. Arbeitslose Lehrer als Netzwarte, die sich in Chatlines einspeisen und die Sprachkompetenz der Teilnehmer mit Rausschmisskompetenz überprüfen, sind das Gebot des Arbeitsmarkts. Das alles ist politisch höchst unkorrekt, aber im übrigen hochnot geboten.

von: Goedart Palm