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27.07.1998 Cybergramme
Liebe in den Zeiten des Netzes

Shakespeareīs gesammelte Werke in der Zip-Datei werden Bildungsdefizite so wenig ausgleichen, wie hypertrophe Stichwortbildung in außer Rand und Band geratenen Suchmaschinen Zusammenhänge schafft. "Wer nicht lesen will, muß speichern", lautet die Devise der Netzjunkies. Die Links, die das Hüpfen in den Texten zur Selbstverständlichkeit werden lassen, machen lineare Lektüren überflüssig. Zusammenhänge, die früher durchpflügt werden mußten, werden für den neuen Hyperleser (= Überleser) zum Fluchtfeld. Ohnehin ist das Netz der Zusammenhang, der keiner ist. Das schon vormals grassierende Halbwissen, das vornehmlich im enzyklopädischen Bereich zwischen der Oberweite von Pamela Anderson und dem letzten Promillegehalt von Herbert Juhnke angesiedelt war, kann im Netz gnadenlos aufgerüstet werden. E-zines zwischen Herzilein und Schlingensief - der Unterschied zwischen beiden will nicht auf den ersten mouseclick einleuchten - , Homepages von Lady Di aus dem Netz der Jenseitigen - War sie schwanger? - oder schleimige Netzpastorenpsychohilfe - Mein Computer hat Aids! - rumpeln und pumpeln in unseren hochgezüchteten Rechnern, als wären es lauter Wackersteine. Nur künstliche Datenspeicher beschweren sich nicht, wenn ihnen der gesammelte Ballast des Alltagswissens überantwortet wird. Unsere Halbbildung wächst dagegen inīs Unerträgliche. Kein Zusammenhang stört diesen Ballast, für den noch ein Mehrwegentsorgungssystem fehlt. Nicht nur Focus präsentiert wie immer Fakten, Fakten, Fakten, die keinen Nährwert besitzen. Aber was sind schon kalorienarme Fakten von heute, wenn es ein Morgen gibt, das die Fakten so austrocknen läßt, daß schon die Zeitungsweisheit zur Lebensmaxime wird: "Was ich heute nicht zur Kenntnis nehme, interessiert morgen keine Sau mehr". Jeder Tag ein perlender Neuanfang. Carpe diem! Erfahrung gerinnt zur sauren Kategorie verblassender Epochen. Im Informationsoverkill zählt nicht der Wert der Information, sondern ihre Verfügbarkeit. Heute schon yahoot? Keiner wagt dagegen die Frage, ob es nicht besser wäre, uninformiert zu bleiben, frei zu sein für Kontemplation, Besinnung auf das Naheliegende. Ohnehin entstehen immer mehr Informationen, die wieder auf Informationen verweisen, endlose Verweisungsketten, die den Verdacht gegen den Gläubigen auslösen, auch hier sei wieder der Weg das Ziel. Bleibt zu hoffen, daß nicht die letzten Zen-Klöster anīs Netz gehen, um ihr Karma in alle Welt zu verstrahlen.


von: Goedart Palm

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