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03.08.1998 Cybergramme
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On-line! Klingt wie ein militärisches Kommando. Noch fehlt Uncle Sam: The net needs you für digital army. Alle angetreten! Schon das Telefon hat uns nach Anatole France zu Lakaien des klingelnden Apparats gemacht. Der elektronische coitus interruptus des Familienlebens durch E-Mail und Webbesuche wurde zur alltäglichen Selbstverständlichkeit. Das Netz vollendet dieses Unterwerfungsverhältnis unter die Apparatur, der stündlich neue Freiwillige folgen. Wir unterscheiden zwischen Angeschlossenen und Ausgeschlossenen. Die einen stehen unter Strom, die anderen sieht und hört man nicht. Zumindest gilt, daß letztere in der neuen Öffentlichkeit offline sind. Sie talken nicht in chat-lines, besuchen keine Newsrooms, kennen den Louvre oder Vatikan allenfalls aus erster Hand, virtuell haben sie die places of interest nie gesehen. Nun ist die neue Herrlichkeit des Virtuellen noch kaum geeignet, sinnliche Realeindrücke zu verdrängen. Die Mona Lisa in Briefmarkengröße überzeugt vor allem Philatelisten. Entscheidend ist aber nicht, was einer in den digitalen Sphären - paradox formuliert - wirklich, das heißt virtuell, erlebt. Dabeisein ist alles. Denn die "Wüste Internet" (Stoll) lebt allen Miesmachern zum Trotz, weil mehr Gläubige als Sandkörner versammelt sind! "Wer zu spät kommt, den bestraft das Netz" heißt die neue Parole. Zu erwarten ist, daß auf dem Wüstensand bald Städte aufgebaut werden, die Urbanisierung des digitalen Raums ist im vollen Gange. Telepolis soll das achte Weltwunder werden, gegen das der Koloß von Rhodos ein Liliputaner ist. Wer dann noch in der analogen Provinz lebt, wird sich die Verachtung der digitalen Städter zuziehen. Stadtluft macht angeblich frei. Die Freiheit im Internet ist aber eine schlecht larvierte Form der Abhängigkeit, gegen die Fernsehsüchtige und Alkoholiker läßliche Sünder sind. Der vermeintlich anarchische Lebensraum der Netzbürger, der nicht durchschritten, sondern durchclickt wird, wird von imperialistischen Gelüsten beherrscht. Die Multipräsenz in den Suchlisten ist der Existenzbeweis für Bewohner, die nicht länger die Kirche im eigenen digitalen Dorf lassen wollen, sondern weltweites Sendungsbewußtsein umtreibt. Virtuelle Völkerwanderungen in immer neue Cyberländer sind ein reines Speicherproblem. Schon bietet das "Starship Titanic" im Hafen von Digital Village Exkursionen zu exotischen Sehenswürdigkeiten an, die noch nicht von Rucksacktouristen verrottet sind. Wenn dann aber bei der Jungfernfahrt das Kommando gellt "Frauen und Kinder zuerst" und die Rettungsboote knapp werden, wünschen wir den Surfern, dem digitalen Wellengang gewachsen zu sein. Später folgt dann im Multiplex die tröstliche Trockenversion von James Cameron mit zwölf Oscar-Nominierungen.


von: Goedart Palm

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