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23.05.1998
Cybergramme
Smart world
Auch die Bibel hilft nicht weiter: Aus Software lassen sich keine Pflugscharen machen. Überhaupt will niemand mehr im Schweiße seines Angesichts den Acker bestellen. Das neue Digitalleben enthebt uns jeglicher Anstrengung. Bill Gates lebt uns in Xanadu am Washington Lake die neue Bequemlichkeit vor. Hier entsteht mit unserem Geld die Smart-Ikone der immer wohltuenden Soft-Existenz von morgen. Selbst Clinton ist schon dagewesen und hat sich den Button mit seinen persönlichen Daten aufkleben lassen. Es ist nicht bekannt, ob das Zauberschloß auch sexuelle Präferenzen mitbefriedigt. Wir haben jedenfalls keinen Zutritt. Bills Domain will der Vorgriff auf das 21. Jahrhundert sein, smart tools beherrschen Räume, die sich den Vorlieben der Besucher anpassen sollen. Endlich weg aus der Anonymität von Reihenhäusern hin zum anpassungsfähigen Domizil: Lieblingsmusik, Lieblingsbilder, überhaupt alles soll lieblich zugeschnitten werden auf den Bewohner, der nicht nur Bewohner, sondern Multiuser ist. Keine Rede davon, daß Bewohner ihre digital nicht abgefederte Ruhe haben wollen, unverkabelt bleiben wollen - keinen Kontakt zu Gott und der Welt als wohlverdientes Exil. "My home is my castle" war die altbackene Formel für die Abgeschiedenheit der häuslichen Sphäre gegenüber einer aufdringlichen Öffentlichkeit. Ab jetzt herrscht die sanfte Tyrannei der Robotniks. In Zukunft werden uns weder Waschmaschinen noch Toaster, weder Beleuchtung noch Garagentore unbehelligt lassen. Unsere Maschinenfreunde lauern überall, um unsere Couch-Potatoe-Existenz umfassend abzufedern. Maschinen denken mit und das droht, gefährlich zu werden. Waschmaschinen, die sich mit ihren Nutzern über die richtige Dosierung unterhalten und beleidigt reagieren, wenn ihnen Weichspüler vorbehalten bleibt, sind noch leicht vorstellbar. Desgleichen die Elektrifizierung einer Wohnung durch Verbalkommandos. Vollbrüstige Zigeunerinnen vor Sonnenuntergang als netzgespeistes Monitorflachbild in Cyberhotels sind schon schwerer zu ertragen. Science Fiction-Autoren war es bisher vorbehalten, über unfolgsame Roboter und chaotische Maschinen zu räsonnieren. Dieser Stoff, der die neuen Katastrophen bestimmt, wird in einer intelligenten Maschinenwelt bald real. Mögen Streitigkeiten zwischen einem Smartstaubsauger und einem Elektrobesen noch zu schlichten sein, wird das erheblich schwieriger, wenn ein intelligentes Bankkonto mit dem unverbesserlichen Inhaber über Online-Käufe streitet. Wer vorher noch glaubte, sagen zu können "Mein Bauch gehört mir", wird das von seinen intelligenten Zauberlehrlingen nicht gefahrlos behaupten können. Solange noch keine Gewerkschaft intelligenter Haartrockner auf Arbeitszeitschutz beharrt oder berechnende Brotschneidemaschinen die Revolution ausrufen, ist vielleicht aber noch Hoffnung.
von: Goedart Palm
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