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04.05.1998 Cybergramme
Deutschland: Auf Internetkurs

Wir leben in der erregenden Pionierzeit eines neuen Hypermediums und Pioniere glauben solange an El Dorado, bis sie am Ende der Welt auf zerfallende Bretterbuden stoßen, wo sie Paläste wähnten. In der Goldrauschstimmung erwarten wir überfließende Inka-Schätze, mindestens aber König Salomons Schatzkammer als download-freeware. Wir werden in unsere Kindheit zurückversetzt, in der die Welt noch verfügbar schien und Verbote als Fehler im Betriebssystem galten. Macht, Geld, Liebe, Sex - alles das und noch viel mehr soll dem Netz entnetzt werden. Mr. Case, der Bürgermeister von AOL-Stadt, erkennt im Netz gar etwas Magisches. Vielleicht gilt ihm Digitalien als immerbereites "Tischlein deck dich", wo opulente Genüsse ohne Ende auf die verzehrfreudigen Konsumenten warten. Das Netz avanciert in diesen und anderen Phantasien zur infantilen Entschädigungsinstanz für das unvernetzte Leben, für die Entbehrungen der Realexistenz, die kein password für den Netzzutritt besitzen sollen. Was das Netz zur Beglückung leistet, stößt auf keine Statistik. Noch lebt das Internet vom Prinzip Hoffnung und einige leben nicht schlecht davon. Ernüchterungen statten die Netzphantasten mit immer kürzeren Halbwertszeiten aus. Was heute nicht funktioniert, klappt in den Ankündigungen morgen in jedem Fall. Die Zukunft besitzt Heilsgarantie. Die Versprechungen der Virtualität, die selbst noch virtueller sind als die Systeme, die ihnen zugrundeliegen, stoßen noch auf keine ernstzunehmende Kritik. Das Netz ist gleichwohl nicht der vorgezogene Garten Eden, die Rückkehr in das Paradies jungfräulicher Verhältnisse, sondern eine Konstruktion, die dem Wechselspiel von Erfüllungen und Katastrophen unterliegt. Vielleicht ist es nicht die geringste Katastrophe, daß hinter unzähligen Visionen und Versprechungen die Gläubigen vor Szenarien sitzen, die sie mit der Welt verwechseln. Die religiösen Heilserzählungen widersprachen der menschlichen Natur, ihre simple Glückslogik scheiterte immer wieder an der Menschennatur. Diese Erkenntnis soll in Digitalien ausgemerzt werden. Die Visionen von Bill Gates of Heaven, Mr. Case und anderen Software- und Providerkönigen über die schöne neue Welt sind die Aussagen von Verkäufern, die sich als Apostel des neuen Milleniums aufführen. Zwar sind Trendaussagen nie besser als die Erkenntnis von heute, die morgen schon nicht mehr gilt, aber nicht erst seit dem Orakel von Delphi gehören Prophezeiungen zu den bestbezahlten Schamanen- und Priesteraufgaben. Die Digitalwelt feiert sich als neuer Religionsersatz mit hoch dotierter Erlösungsgarantie. Predigten und Werbung treffen sich in der Gemeinsamkeit, das Glück auf morgen zu verlegen. So reiht sich das Netz in die großen Erzählungen der Metaphysik ein, hinter dem Horizont zu suchen, was heute nicht verfügbar ist.


von: Goedart Palm

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