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20.04.1998
Cybergramme
Deutschland: Politisches Feuilleton
Heilswissen, Herrschaftswissen und Wetterbericht fügen sich in der Enzyklika beschleunigter Mediendemokratien zur moderaten Sozialutopie. In den magischen Kanälen treiben Legitimationsprobleme als verdauungsfördernde Ballaststoffe in Lösungen, die keine sind. Die Zunft nacheilender Kommentatoren versucht einer Politik Vernunft einzu-hauchen, die sich längst in die Abstraktheit moderner Gesellschaften verabschiedet hat. Verhießen antike Demokratien die direkte Beteili-gung aller Bürger an den Geschicken ihrer Gesellschaft, gilt für (post)moderne Demokratien, daß jeder wissen müßte, daß er nichts weiß. Diese sokratische Erkenntnis hat sich leider noch nicht durchgesetzt. Am eifrigsten inszenieren Medien Politik als greifbaren Stoff der Wirklichkeit. Politische Analyse in den Medien gehört zum Feuilleton. Im Duktus dieses Feuilletons entsteht Politik als Geschichte von Personen mit mehr oder wenigen hehren Absichten. Politikverständnis wird auf personale Handlungsgeschichten reduziert. Die Wirkweise von politischen Systemen bleibt weitgehend unerkannt. Der Widerspruch zwischen Figuren, die Machbarkeit suggerieren, und Verhältnissen, die ständig Katastrophenalarm auslösen, wird zugeschüttet. Der verfassungsrechtliche Anspruch des Bürgers auf informationelle Grundversorgung legitimiert Hofberichterstattung zu Lasten der Erkenntnis, daß Politik sich nicht als Drama von Protagonisten begreifen läßt. In diesem Mißverständnis avancieren Schröders Trennung von Hillu oder Clintons Lustmolcherzählungen zu Breitseiten des Politikfeuilletons auf den Unterhaltshunger der Wähler. So formen sich politische Nullgrößen wie Lady Di zu Mythen, in deren Strahlenschein sich das Elend der Welt verklärt. Voyeure suchen den Blick durch´s Schlüsselloch. So bedient der "Spiegel" seit Anbeginn ein Politikverständnis, das Hintergründe in einem Kolportageraster erfaßt. Gut unterrichtete Kreise wissen intern, was Regierungs- und Parteiprogrammen nicht zu entnehmen ist. Geringste Regungen der Mächtigen werden zur Kaffeesatzlektüre. Wen wundert die Verdrossenheit, wenn Politik hinter der Mattscheibe schemenhaft wird? Noch unerträglicher als die Diffusität der Machtapparate sind die eilig zusammengebrauten Gegenmittel neuer Gutmenschen. Schlagwörter a la mode "Der Ehrliche ist der Dumme", "Jetzt aber mal ehrlich" oder Gräfin Dönhoffs Demokratiekritik mögen in Bestsellerlisten überzeugen, eine Korrektur des Politischen durch Kalenderblattweisheiten ist nicht zu erwarten. Fazit: Die Remeduren sind so ungenießbar wie die Krankheiten.
von: Goedart Palm
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