Gutenbergs Erben
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Overload
Deutschland: Auf Internetkurs
Deutschland: Europa auf dem Stier
Deutschland: Politisches Feuilleton
Deutschland: Mediokratie
Deutschland: Der Kanzler kommt, der Kanzler geht.
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18.05.1998
Cybergramme
Overload
Die Postgeneration X, von der medialen Überdosierung des Netzes fasziniert, ist noch mit televisionären Frohbotschaften der Medienmultis und Softwaregiganten zu ködern. Längst ist aber klar, daß der schöne neue Informationspool auch die ungefilterte Melange aus Erlebnisschrott, Dauerreprisen und Müll recycelt. Überall kleben fette Fliegen im Netz, die laut schreien: "Eat me". Der Metacrawler füllt die Fresspaletten bis zum Überlaufen und ohne ein vomitorium (Kotzraum) zerplatzen wir bald wie überfüllte Michelinmännchen in der
Leere der Überfülle. Gegenbilder sind kaum in Sicht. So existiert zwar eine behäbige Gesellschaft zur Verlangsamung der Zeit, der Schriftsteller Nadolny singt ein Loblied auf Langsamkeitsautisten, Manager retirieren in Klöstern, um sich zu sammeln, Paul Virilio erfreut sich an den Paradoxen des rasenden Stillstands - aber all das sind Blüten alteuropäischer Mentalitäten, Abwehrbewegungen gegen die unaufhaltsame Beschleunigung. Der Schnelläufertrend hat für gemächliche Zeitgenossen keinen Platz. Selbst die Freizeit wurde auf die Schiene immer
schnellerer Abenteuer gesetzt. Die Reiseindustrie des Netzes boomt - ob in Echtzeit nach Tibet oder in Virtualzeit zu den Jedis. Der rasend-ratlose Zeitgenosse jagt von website zu website, weil der Stein des Weisen vielleicht im nächsten Datenkiosk vergraben liegt. Bunte Banner schlagen in den Bann: click here, click there, click everywhere. Taktmeister dieser kollektiv geschriebenen Partitur sind nicht länger wir, sondern buttonübersäte Menüs, die zumeist so genießbar sind wie ein McDonalds-Menü für Diätetiker. Ständig werden wir durch neue
Informationskanäle gelinkt, wie tumbe Grautiere jagen wir hinter der Angelrute mit Mohrrübe zum digitalen Freßnapf. Mögen die Suggestionen wachsen, der Mensch wäre auf smarten Informationen sanft gebettet, geleitet in die Sicherheit einer willfährigen Welt, die allein ihm gehört. Schlaraffenphantasien, von den Herren der neuen Digitalkonstruktionen eifrig gefördert, sind so wohlfeil wie ihre Produkte. Zu oft stoßen wir auf vaporware, Dampfprodukte, die uns alles und nichts versprechen. Letztlich sind wir die Zwergkanninchen in der Sauna der
heiß gestrickten Programme: Downloaden und abstürzen ist unser täglich Brot. Wen interessieren morgen noch No-Use-Tools, um die Aufrüstung von gestern "upzudaten", bis der gnädige Datenkollaps eintritt? "Eine Beschleunigung ist eine Beschleunigung ist eine Beschleunigung" heißt die tibetanische Gebetsmühle der rasenden Gläubigen.
von: Goedart Palm
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