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08.06.1998 Cybergramme
Inter-Aktiv

Kommunikation und Interaktion sind die zentralen Messages des neuen Mediums. Interaktiv ist eine anfechtbare Vokabel für Netzbegegnungen, die wir für den intimen Umgang von leibhaften Menschen reservieren sollten, die aber inzwischen für Monitorbegegnungen der dritten, vierten bis hinterletzten Art herhalten muß. Was ist so "inter" im Netz der Netze? Intershops gibt es seit dem unrühmlichen Ende der DDR nicht mehr und von Interpenetration schwärmen nur Soziologen, deren durchgeistigte Leiblichkeit im Zweifel von ihrer Mutter bekocht wird. Intersex-Mode war den Blumenkindern vorbehalten, die starren Geschlechtsrollen entfliehen wollten - gender trouble, Geschlechterverwirrung. Intersex freilich ist eine paradoxe Formel, weil Sex sich selbst in seinen drögen Spielarten schon immer "zwischen" Menschen vollzog. Es entsteht eine Intimität derer, die sich nicht sehen oder hören, aber dazu gehören. Im Netz kommunizieren Leute, die auf der Straße nicht einmal den Hut voreinander ziehen würden. Die Kinder der eiligen Kommunikation kommunizieren selbst dann noch, wenn sie sich schon lange nichts mehr zu sagen haben. Kommunikationsautismus ist eine schizophrene Vokabel: Jeder User kreist im Netz um sich selbst, aber das Feedback wird zum Existenzeichen. Jeder Mikronarzißmus kriegt seine digitale Chance - auf den Cyberleib geschnitten. Ist schon fraglich, ob das Netz "inter" ist, steht es noch schlechter mit der Aktivität des Netzes sub specie hominis. Netzpotatoes sind nicht aktiv, sondern in ihrer Bewegung so kärglich, daß das Netz schon Beratungshilfen für Rückenschmerzen der Surfjunkies anbietet. "Mens digitalis in corpore sano" ist keine Erfindung der Netzapologeten. Es geht nicht um digitale Phantomschmerzen, die nach dem Herunterfahren der Programme fliehen, sondern um unwillige Rückmeldungen eines abgenetzten Körpers, der über Waldspaziergänge nachdenkt, während seine Neuronen ein störungsfreies Betriebssystem garantieren sollen. Die Trennung von Körper und Geist, die Descartes wider jede Leiblichkeit formulierte, wird im Internet vollzogen. Rettung naht: Dr. Seed - nomen est omen - will Menschen klonen. Es ist zwar schwer einzusehen, welches Heil in der Dupli- bis Multiplikation von Menschen liegt. Diverse Zeitgenossen würde man sich lieber einmal weniger als einmal mehr wünschen. Gentechnologie besitzt soziale Sprengkraft. Wer will sich in sein Genschicksal bescheiden, wenn bessere Modelle vorrätig sind? Nicht nur Dauersurfer wären eine Herausforderung für Genbastler: Der flimmerfreie Augenrausch, die entzündungsfreie Sehnenscheide und der in einer Winzip-Datei versorgten Restkörper stehen bevor.


von: Goedart Palm

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